Ein Wildschütz, aber kein Räuber

Steinbeck

Hans Eidig (29. Januar 1804 - um 1840):

Ein Vergleich mit Robin Hood liegt nahe, für Hans Eidig, den Wildschütz aus der Lüneburger Heide. Viele Anekdoten ranken sich um diesen Wilderer, der zur Büchse griff, um Bauern vor der Überhege der Feudalherren zu schützen. Denn Wildschäden mussten sie ertragen, ohne selbst zum Gewehr greifen zu dürfen. Mehr als zehn Jahre war Eidig durch das Lüneburgische gestreift, mehrfach ist er im Winsener Schloß gefangengesetzt worden, bevor er nach Amerika auswanderte. Machen wir uns auf seine Spur:

Als Sohn des Försters Benedix Eidig und dessen Ehefrau Magdalena Margareta erblickt Hans in Klein-Klecken das Licht der Welt, einem Dorf im Nordwesten der Lüneburger Heide. Zwei Tage später wird er auf den Namen Johann Christof getauft. Aus Johann wird die Kurzform Hans, und unter diesem Namen rufen ihn seine Alterskameraden in Steinbeck bei Bispingen. Dorthin ist sein Vater nach kurzer Zwischenstation in Garstedt im Amte Winsen (Luhe) versetzt worden. Die Liebe zur Natur und die Lust zur Jagd stecken dem Försterbuben gleichermaßen im Blut. Wohl an der Seite seines Vaters auf dessen Dienstgängen durch den Druhwald wächst in Hans der Wunsch, später auch einmal Förster zu werden.

Mit 16 Jahren kommt er zur Ausbildung nach Stelle. Dort führt der Reitende Förster Sechel die Aufsicht, und hier lernt Hans dem Umgang mit Schrotflinte und Kugelbüchse. Nach der Lehrzeit tritt der junge Eidig beim Forstmeister von Meding auf dem Gut Borstel bei Winsen seinen Dienst als Jäger an. Der junge Mann ist ein guter Tänzer und Unterhalter. Auf Volksfesten in Winsen und Umgebung ist er ein gerngesehener Gast. Viel Geld hat er nicht, und so füllt er seine Kasse mit gelegentlicher Wilderei auf. Das heimlich erlegte Wildbret kann er leicht an den Mann bringen.

Aber er hat auch etwas anderes bemerkt: Die feudale Jagdgerechtsamkeit interessiert sich überhaupt nicht für Hege und Arterhaltung in Flora und Fauna. Das Wild wird in seiner Population nicht ausreichend ausgedünnt, und es richtet erhebliche Schäden in Feld und Flur an. Bauern greifen zur Selbsthilfe, um sich von dieser Plage zu befreien. Sie greifen zur Büchse oder legen Schlingen. Wilddiebe und Wildschützen werden von ihnen unterstützt.

In Winsen hört Eidig Bauern über solche Schäden klagen, und so greift er von nun an zu Flinte und Büchse, um dem Landvolk zu helfen. Bald ist Hans Eidig überall bekannt, denn in Wald und Heide knallen seine Schüsse. Zwischendurch, nämlich von 1824 bis 1826, dient er in einem Lüneburger Infanterieregiment. Aber er kommt mit den Vorgesetzten nicht klar und lässt deshalb seinem unbändigen Drang freien Lauf, nach Herzenslust zu jagen. Die Wälder seiner Heimat rufen ihn, doch er jagt auch in dänisch-lauenburgischen und in mecklenburgischen Landen. Überall findet er Helfer und Kunden, überall findet er Verstecke vor Förstern, Landgendarmen und Soldaten, die immer wieder auf ihn angesetzt werden.

Einst erwischt ihn der Förster beim Ausweiden eines Rehs, während seine berühmte Doppelbüchse seitwärts an einem Baum lehnt. Als der Förster aufspringt und das Gewehr des Wilderers an sich reißt, blickt Eidig mit gleichgültiger Miene auf: „Tööw man de Tied aff, sü, mien Kamrad dor snackt ok noch een Wort mit!“ Der Förster dreht sich um - und blickt in den Gewehrlauf, den ihm ein alter Mann entgegenhält.

Als einer seiner Gesellen einem jungen Bauern beim Pflügen einfach eine Uhr abnimmt und mit diesem Schelmenstückchen vor Eidig prahlt, kriegt der zur Antwort: „Ik bin een Wildschütz, aber keen Räuber!“ Sein Waidgeselle muss die Uhr dem Eigentümer zurückgeben.

Der Wildschütz ist nicht nur ein guter Schütze, er ist auch tollkühn: Einem reitenden Gendarmen aus Schwarzenbek im Sachsenwald schießt er auf 80 Schritt den Absatz unterm Stiefel weg, und auf einem Schützenfest in der Nähe von Lüneburg schießt er mit seinem „Kollegen“, dem berüchtigten Wilddieb Dahldorf, immer wieder den Pflock aus der Scheibe heraus. Die beiden teilen sich den ausgesetzten Gewinn und entkommen unerkannt.

Trotzdem wird der Wildschütz immer wieder festgesetzt. Im Winsener Schloß, in Lüneburg, Harburg und Bleckede ist er jedoch nie lange in Gefangenschaft geblieben. Mit List und fremder Hilfe ist er immer wieder willkommen.

Vielleicht haben ihn seine Bräute in seiner Phantasie beflügelt. Zunächst hat er mit Schütten Doris aus Lindhorst angebändelt, die bei Pastor Ballauf in Hittfeld in Diensten steht. Später nimmt er Anna Prieß aus Luhdorf zur Braut. Nein, heiraten kann er nicht, denn Hans Eidig wird seit 1834 steckbrieflich gesucht und für vogelfrei erklärt. 100 Taler stehen auf seinen Kopf, 150 werden demjenigen versprochen, der ihn lebend der Justiz ausliefert. Da ist keine Zeit für häusliches Glück.

Wie ein gehetztes Wild irrt er von einem Versteck zum anderen dies- und jenseits der Elbe. 1835 wandert er nach Amerika aus, nachdem er von der hannoverschen und dänischen Regierung auf sein Gesuch hin 200 Taler Reisegeld ausgezahlt bekommt. Diese Unterstützung hatten die Regierungen dem Wildschützen schon früher für den Fall angeboten, dass er sich zur Auswanderung entschließt. Der Maler Otto Speckter porträtierte ihn noch vor seiner Abfahrt in Hamburg. Dieses Bild ist das einzige überlieferte Gemälde von ihm.

Das weitere Schicksal Hans Eidigs ist ungewiss, er soll als Jäger oder Farmer im Kampf mit Indianern getötet worden sein, sagen die einen. Andere berichten, er sei in der Nähe von New York in einer Fabrik als Vorarbeiter angestellt und dort bei einer Nachtwache um das Jahr 1840 herum durch einen Messerstich ermordet worden.

Im Volk aber lebt Eidig fort, in den 20er Jahren ist ein Lied über ihn gedichtet, in den 70er Jahren sind Theaterstücke aus der Feder des Heimatdichters Richard Fehland über ihn aufgeführt worden. Wege- und Straßennamen erinnern an diesen Mann, der niemandem etwas getan hat und trotzdem mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist.  Er gilt als Volksheld, als eine Art Robin Hood in der Lüneburger Heide.

J.F. Heinrich Müller

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